Der Braunschweiger Otto Grotewohl gehört zu den bedeutenden politischen Figuren Deutschlands

1964 Zeitzeugen: Peter Ohst war der erste Stadtbezirksrat im Braunschweiger Bezirk Schunteraue. Dieses Amt hat heute seine Frau Gudrun inne. Beide sind SPD-Mitglieder. Peter Ohst weiß viel über die Geschichte der SPD – und seinen Onkel Otto Grotewohl.


Reinhard Brennecke besuchte Peter Ohst. Der Neffe des ersten DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl weiß, dass Grotewohl ein begeisterter Zeichner und Maler war.

Spurensuche: Ein Kollege ist sicher, dass der 1894 in Braunschweig geborene und vor allem als Ministerpräsident der DDR bekannt gewordene Otto Grotewohl eine Tochter hat. Die Recherchen ergeben: Otto Grotewohl und seine Frau Martha hatten einen Sohn Hans, eine Tochter hatte das Ehepaar nicht.

Ausgangspunkt: Otto Grotewohl lebte zwei politische Leben: die sozialdemokratisch geprägte Braunschweiger Zeit und, ab 1945, die Jahre, in denen er zu den SED-Spitzenfunktionären in der DDR gehört.

Die Suche nach Zeitzeugen führt ins Institut für Braunschweigische Regionalgeschichte der TU Braunschweig. Professor Gerd Biegel ist noch am Auspacken, Hunderte von Kartons stehen in den Räumen, Tausende von Büchern müssen einsortiert werden. Aber das "Chaos" hat System: Biegel schiebt einen Zettel über den vollgepackten Schreibtisch – und auf dem steht: Madeleine Grotewohl, Börnersdorf; Familie Ohst, Braunschweig.

Von einem Bücherstapel fischt Biegel zudem eine Klarsichtfolie, in der sich etliche Kopien befinden. "Das sind Bilder, die Otto Grotewohl gemalt hat. Ich plane ja immer noch eine Ausstellung über den Maler Grotewohl. Und das wird auch klappen." Dann muss sich Gerd Biegel wieder "um Otto-Katalogbeiträge kümmern"; dabei geht es um die Kaiserkrönung Ottos IV., die sich in diesem Jahr zum 800. Mal jährt.

Die Aquarelle Grotewohls sind erstklassig; er hat sie den 1940er jahren gemalt. Sie zeigen Braunschweiger Motive wie die Weberstraße mit Blick auf die Andreaskirche und den Altstadtmarkt oder den Halberstädter Fischmarkt. Auch Porträts hat Grotewohl angefertigt, zum Beispiel vom legendären SPD-Chef August Bebel oder von Wilhelm Ohst, dem Vater seiner Frau Martha.

Die Hinweis von Prof. Biegel auf eine "Spur ins Erzgebirge" stimmt; das Telefonat ist spannend. "Mein Schwiegervater war ein Familienmensch", sagt Madeleine Grotewohl. Die 83-Jährige ist die Witwe des Grotewohl-Sohns Hans, der als Architekt tätig war; sie lebt heute in dem Flecken Börnersdorf südlich von Dresden. Auch sie hat Architektur studiert und in dem Beruf gearbeitet, "um etwas aufzubauen".

Politik habe zu Hause in Berlin keine Rolle gespielt. "Bei der Familie konnte sich Otto Grotewohl ausruhen und wieder Kraft schöpfen. "

Sie fügt eine Anekdote hinzu: Ihr Schwiegervater habe in den ersten Jahren seine Reden immer selbst geschrieben und der Familie oft vorab vorgelesen. "Je nachdem, wie wir geschaut haben, hat er gesagt: Da muss ich noch etwas ändern."

Im Ruhestand haben Hans und Madeleine Grotewohl Braunschweig besucht, um auf den Pfaden des Politikers Otto Grotewohl zu wandeln und um – als Architekten – die historischen Bauwerke zu bewundern.

Auch der zweite Tipp von Biegel hilft bei der Spurensuche weiter.

Martha, die erste Frau Otto Grotewohls, ist eine geborene Ohst. Ihr Vater Wilhelm wurde übrigens von Grotewohl porträtiert. Der 1943 geborene Braunschweiger Peter Ohst, der Sohn von Wilhelms Sohn Erich und dessen Frau Erna, hat seinen Onkel nicht kennengelernt. Aber er weiß sehr viel.

Grotewohl absolvierte von 1908 bis 1912 eine Lehre als Buchdrucker in Braunschweig; nach Abschluss der Ausbildung trat er in die SPD ein. Auch Peter Ohst gehört zur Zunft, er hat Schriftsetzer gelernt. Und er ist Sozialdemokrat.

"Das liegt bei uns in der Familie", sagt der 1943 geborene Ohst. Er hat ein distanziertes Verhältnis zum politischen Wirken Otto Grotewohls. Aber er zollt einem Mann Respekt, der die Vision einer besseren Gesellschaft hatte.

Der Lebensweg Grotewohls ist in der Tat beeindruckend. Einige Stationen: Abgeordneter im Braunschweigischen Landtag, Volksbildungs-, Innen und Justizminister im Freistaat Braunschweig, Bezirksvorsitzender des SPD-Landesverbandes, Mitglied des Reichstags und Präsident der Landesversicherungsanstalt. Von diesem Posten wird er 1933 von der Braunschweiger NS-Regierung entlassen.

Grotewohl schlägt sich in Hamburg und Berlin als Werbegrafiker durch; er kann auch einige Kopien alter Meister verkaufen, etwa Rembrandts "Mann mit dem Goldhelm", wie er seiner zweiten Frau Johanna einmal erzählte. Die Nationalsozialisten werfen ihm illegale politische Umtriebe vor, er wird verhaftet, das Verfahren wird später eingestellt.

Seit 1946 ist er in der Sowjetischen Besatzungszone mit Wilhelm Pieck Vorsitzender der SED; er trägt maßgeblich zur Zwangsvereinigung von SPD und KPD bei. Kurt Schumacher, der Vorsitzende der West-SPD, hat ihn dafür verachtet.

Madeleine Grotewohl sagt: "Er hat sich in die Einsamkeit geflüchtet." Zwar habe er mit Pieck gekonnt, aber nicht mit dem wahren SED-Machthaber Walter Ulbricht.

Als Ministerpräsident gehört Grotewohl ab 1949 zum inneren Zirkel eines Regimes, das unter anderem 1953 mit den Sowjets den Arbeiteraufstand brutal niederschlägt.

Nach langer Krankheit stirbt Otto Grotewohl 1964 in Ostberlin.