Ballenstedt. Auf dem Rockharz Festival sprechen Sänger Chris Harms und der Schlagzeuger Niklas Kahl mit dem Harz Kurier über ihre Zeit nach dem ESC.

Hinfallen, Make-up richten, weitermachen: So in etwa muss das sein für Lord of the Lost. Die Band aus Hamburg hat ihre Niederlage auf dem ESC in Liverpool im Mai gut verwunden. Auf dem Rockharz Festival in Ballenstedt am Harz gibt die Band um Frontmann Chris Harms eine Stunde lang Vollgas: Zahlreiche Fans sind gekommen und feiern die Band vor untergehender Sonne ausgelassen. Eine gewisse Magie kann man diesem Auftritt nicht absprechen.

Eine Stunde nach dem Konzert – es ist zwischenzeitlich dunkel geworden – trifft sich die Band mit unserer Redaktion zum Gespräch. Das geschieht ein bisschen abenteuerlich, denn das Festivalgelände ist riesig, der Handyempfang praktisch nicht existent. Und der Tourmanager, über den das Gespräch koordiniert wird, hängt auf der Landstraße in Sachsen-Anhalt im Nightliner fest. Erst am Vorabend hat die Band zusammen mit Iron Maiden in London gespielt. Um den Auftritt im Harz zu ermöglichen, sind die Bandmitglieder nach Deutschland geflogen, während ihnen ihr Tourbus mit dem Rest des Teams hinterherfährt. Am Ende findet man sich im Getümmel doch noch: Sänger Chris Harms und Schlagzeuger Niklas Kahl aus Osterode sprechen mit unserer Zeitung über ihre Zeit nach Liverpool und ihren Auftritt im Harz.

Die blödeste Frage immer zuerst, aber ich muss es fragen: Wie ist es Euch nach Liverpool ergangen? Wie fühlt Ihr Euch?

Chris Harms: Großartig! Aber eigentlich haben wir uns die ganze Zeit großartig gefühlt. Vom ESC hatten wir uns ehrlich gesagt viel mehr gar nicht erwartet. Wir wussten, dass es schwer ist für Deutschland und wir wussten, dass wir ein Subgenre darstellen. Rock und Metal machen etwa sieben Prozent aus am weltweiten Musikmarkt – insofern kam es nicht wirklich überraschend. Wir sehen uns als Botschafter für härtere Musik, die den ESC bunter gemacht hat. Und eigentlich, egal wie das Resultat war, wir haben ja nur gewonnen. Wir haben unglaublich viele Fans gewonnen, Erlebnisse gewonnen, Freundschaften gewonnen, musikalische Offenheit gewonnen. Wir würden sofort wieder mitmachen, auch wenn wir wüssten, wir werden wieder Letzter.

Der Auftritt auf dem Rockharz, so habt ihr es auf der Bühne erklärt, war ein ganz besonderer. Könnt Ihr erklären, warum?

Niklas Kahl: Rockharz ist für uns immer ganz was Besonderes. Aber ja, vor sechs Jahren, im Juli 2017, habe ich hier mit der Band meinen ersten Auftritt gespielt. So knapp eine Woche vorher haben sie mich angerufen und gefragt, ob ich Zeit hätte (lacht). Ich habe dann neun Tage zum Vorbereiten gehabt und es waren glaube ich insgesamt 19 Songs, die ich lernen musste. Eigentlich wollten wir das Ganze vorher natürlich noch proben, doch das war das Wochenende vom G20-Gipfel in Hamburg, mit den Krawallen. Ich bin acht Stunden nach Hamburg gefahren und wir haben es, glaube ich, gar nicht so richtig geschafft zu proben. Das Schöne war aber, dass wir alle uns schon viele Jahre kannten. Das hat es sehr viel einfacher gemacht, als wären wir uns alle fremd gewesen. Es war außerdem Rockharz, das sich für mich sowieso wie zu Hause anfühlt, und wir haben eine mega Show gespielt.

Chris Harms: Wir hatten damals eigentlich nur kurzfristig einen Ersatz gebraucht. Und nach dem Auftritt auf dem Rockharz 2017 war aber klar: Wir wollen gar keinen anderen mehr, wir wollen Nik. Und deswegen haben wir ihn dann Ende des Jahres fest in die Band aufgenommen.

Das war dann damals deine Feuertaufe sozusagen?

Niklas Kahl: Damals auf jeden Fall. Und heute, sechs Jahre später, sitzen wir hier und sind übermüdet, weil wir gestern noch mit Iron Maiden in London gespielt haben.

Chris Harms: Das ist verrückt. Jetzt sind wir schon auf der zweiten Tour mit Maiden, haben den ESC zusammen gespielt, führen zusammen eine GmbH, und leben davon Musiker zu sein. Verrückt einfach.

Rockharz 2023: Niklas Kahl von Lord of the Lost.
Rockharz 2023: Niklas Kahl von Lord of the Lost. © FMN | Kathrin Franke

War das immer Euer Traum? Oder ist das einfach so passiert?

Chris Harms: Beides. Erst haben wir davon geträumt, dann darauf hingearbeitet und dann ist es passiert. Aber man muss immer weiter machen. Der Trick ist, nicht dann aufzuhören, wenn ein bisschen Erfolg kommt. Dann gehts erst richtig los eigentlich!

Auf so Auftritte wie heute, wie bereitet ihr euch da vor?

Niklas Kahl: Also eigentlich bereiten wir uns gar nicht vor, weil wir gerade so viel auf Tour sind, da fehlt einfach die Zeit.

Chris Harms: Ich, mit meiner Stimme, muss sagen: Ich mache immer Kaltstarts. Wenn ich vorher eine halbe Stunde singe, macht mich das nicht besser – ich bin einfach nur früher heiser. Was ich aber mache: Ich teste meine Stimme immer kurz an. Gucke, ob alles da ist, ob ich es abrufen kann. Und dann geht’s los.

Niklas Kahl: Wir hören das immer, wenn wir schon auf oder hinter der Bühne sind. Dann kommt auf einmal dieses kurze Brüllen – und dann wissen wir: Jetzt ist er safe, jetzt ist er drin. Aber das ist wirklich immer nur einmal, für einen Augenblick.

Chris Harms: Ich gucke da, ob ich an die hohen Töne herankomme, ob ich die Maxima schaffe. Und wenn ich sehe, es klappt, dann kann es losgehen.

Die Musik bei Euch ist das eine, aber ihr habt ja auch eine Ästhetik, eine visuelle Komponente. Entwickelt ihr das selber und was inspiriert Euch dazu?

Chris Harms: Prinzipiell machen wir alles selber. Und die Inspiration kann überall herkommen. Es kann ein Marvel-Film sein, ein Vogue-Cover, ein altes Bravo-Poster, eine lustige Make-up-Werbung, Ausschnitte bei Germany‘s Next Topmodel, ein Anime: Du siehst irgendwas und denkst dir: Wow! Kann man das irgendwie so ähnlich mal anwenden?

Macht ihr auch Euer Make-up selber?

Niklas Kahl: Ja, das ist quasi unser Ritual vor der Show. Heute war es ein bisschen anders, weil so viel los war. Meine Familie war hier, viele Bekannte und so weiter. Aber eigentlich nehmen wir uns die Stunde, bevor wir zur Bühne gehen, die Zeit und sind dann auch überwiegend alleine im Backstage-Bereich. Dann hören wir zusammen ein bisschen Bummsmucke: Deichkind, Blümchen, Scooter und sowas. Und machen dabei unser Make-up. Und das bekommt dann auch immer eine Eigendynamik. Man fängt mit der Grundierung an und guckt, was die Anderen machen – deswegen sehen wir auch jeden Tag anders aus.

Chris Harms: Es gibt natürlich gewisse Grundkonzepte. Manchmal, bei bestimmten Alben zum Beispiel, wählen wir einen eher düsteren Look. Und wenn es wirklich um die Wurst geht, haben wir natürlich Make-up-Artists, beim ESC zum Beispiel. Auch wenn wir Zeitschriften-Cover machen, arbeiten wir natürlich mit Profis. Die setzen unsere Vorstellungen und Ideen für uns um. Manchmal analysieren die uns sogar und bringen uns Beispielbilder. Und über die Jahre haben wir auch einfach ein paar Artists gefunden, die uns verstanden haben, denen wir blind vertrauen können. Aber auf einer Tour wie jetzt gerade, das wäre viel zu teuer.

Rockharz 2023: Sänger Chris Harms von Lord of the Lost.
Rockharz 2023: Sänger Chris Harms von Lord of the Lost. © FMN | Kathrin Franke

Ihr seid ja wahrscheinlich auch selber Musik- und Metal-Fans. Gibt es auf Festivals wie dem Rockharz Künstler, von denen ihr sagt, die hätten wir uns auch angeguckt?

Niklas Kahl: Ja, absolut! Amon Amarth zum Beispiel, die jetzt gerade spielen. Aber das geht ja leider nicht im Moment (lacht).

Chris Harms: Ich selber bin an Metal und Rock eher desinteressiert. Ich höre lieber Popmusik. Ich mag gerne harte Musik machen, aber ich höre sie nicht so gerne. Auf dem Rockharz habe ich mir vieles angehört, aber vor allem aus freundschaftlichen Gründen, weil einfach viele befreundete Bands hier sind, wie Saltatio Mortis. Das sind einfach großartige Menschen. Aber es ist einfach keine Musik, die ich privat höre.

Ist es hektisch gerade? Fahrt ihr morgen gleich weiter?

Niklas Kahl: Also wir sind ja hergeflogen aus London – unser Tourbus ist noch unterwegs und sollte aber bald hier eintreffen. Anders wäre das nicht gegangen, mit Geschwindigkeitsbegrenzungen und Lenkzeiten. Morgen fahren wir weiter nach Hamburg. Ich hatte tatsächlich überlegt, kurz nach Hause nach Osterode zu fahren, aber das lohnt sich nicht: Am Dienstag sind wir schon wieder mit Amon Amarth in Rostock.

Chris Harms: Und danach haben wir ein Konzert in Berlin, dann fahren wir nach Tschechien zum Masters of Rock und dann geht es weiter nach Finnland. Und danach haben wir dann tatsächlich mal vier Tage Pause. Im Vergleich zu dem, was wir in den letzten dreieinhalb Wochen gemacht haben, wirklich mal eine lange Zeit (lacht).