“Der starke Mann im Königreich hat früh erkannt, dass die Abhängigkeit vom Öl in eine Sackgasse führt.“

Im Nahen Osten findet eines der spannendsten politischen Experimente der Gegenwart statt. Jahrzehntelang war die Ölmonarchie Saudi-Arabien durch Unmengen Petro-Dollars verwöhnt, die Religionspolizei sorgte mit einer stockkonservativen Auslegung des sunnitischen Islams für Erstarrung. Nun hat der erst 32-jährige Kronprinz Mohammed bin Salman – zu Hause kurz MbS genannt – seinem Land einen rasanten Modernisierungskurs verordnet. Der starke Mann im Königreich hat früh erkannt, dass die Abhängigkeit vom Öl in eine Sackgasse führt. Mit seiner „Vision 2030“ will der Kronprinz die saudische Wirtschaft ins 21. Jahrhundert katapultieren. Leitplanken: Weg vom Öl, hin zu erneuerbaren Energiequellen wie Sonne und Wind, offensive Anwerbung von ausländischen Investoren.

In der Innenpolitik bricht MbS reihenweise mit Tabus. Er will junge Saudis aus der Komfortzone der lukrativen Staats-Jobs scheuchen und in der Privatwirtschaft unterbringen, wo ungewohnter Leistungsdruck vorherrscht. Vor allem aber sollen Frauen, die bislang an Heim und Herd gebunden waren, in den Arbeitsmarkt. Damit einher geht eine fast revolutionäre Lockerung der sakrosankten Vorschriften: Frauen können ab Juni den Führerschein machen und Auto fahren, bereits heute dürfen sie in Konzertsäle und Sportstadien.

Die saudische Gesellschaft, die lange Zeit unter der moralischen Knute strenger Imame auf Kurs getrimmt worden war, entdeckt den Spaßfaktor. Nach 35 Jahren Kino-Verbot will der Reformprinz mehr als 300 Film-Paläste bauen. Am Roten Meer sollen Ferien-Paradiese mit allen Finessen entstehen – nur der Ausschank von Alkohol ist (vorerst) verboten. Auch in der Außenpolitik geht MbS neue Wege. So sucht er den Schulterschluss mit dem einstigen Erzfeind Israel, um den Iran einzudämmen. Ob ihm die Bevölkerung und die alten Eliten auf Dauer folgen, bleibt offen.