Braunschweig. Stephan Wendland ist Chef der Baufirma Kienemann. Sie beteiligt sich an einem Projekt der Handwerkskammer.

Yasin* ist Flüchtling – und ein Glücksfall für seinen Ausbildungsbetrieb. „Wir haben Nachwuchssorgen und können aus dem hiesigen Angebot die Stellen kaum besetzen“, sagt Stephan Wendland, Inhaber und Geschäftsführer der Braunschweiger Kienemann Bau- und Beteiligungsgesellschaft. Geflüchtete seien für den Mittelstand und das Handwerk teilweise ein Segen. „Ist so“, bekräftigt Wendland. Sein 60-Mann-Betrieb bildet pro Jahr durchschnittlich drei Lehrlinge aus. Yasin ist der erste Flüchtling, im August kommt ein weiterer aus dem Nahen Osten dazu.

Vermittelt wurde der 29-Jährige über das „Integrationsprojekt Handwerkliche Ausbildung für Flüchtlinge und Asylbewerber“ (IHAFA) der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade. Das Projekt geht nun in die Verlängerung, wie die Kammer mitteilte. IHAFA wird in allen sechs Handwerkskammern Niedersachsens umgesetzt und vom Wirtschaftsministerium des Landes gefördert. Bis 2022 sollen noch einmal rund 500 Flüchtlinge in Ausbildung gebracht werden, so das Ziel.

Nach Angaben der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade haben seit Projektbeginn im November 2015, kurz nach der sogenannten Flüchtlingskrise, bereits 128 Flüchtlinge eine Ausbildung im Kammerbezirk begonnen. Weitere 207 geflüchtete Menschen sind durch „Willkommenslotsen“, die es seit dem Frühjahr 2016 gibt, im hiesigen Kammerbezirk in eine Ausbildung gebracht worden. Insgesamt lernen derzeit rund 600 Menschen, die vor Krieg, Terror, Verfolgung oder Armut geflohen sind, Handwerksberufe in Mitgliedsunternehmen der Kammer Braunschweig-Lüneburg-Stade.

Yasin floh aus Eritrea, ein kleines Land im Nordosten Afrikas, am Roten Meer gelegen. Im Krisenjahr 2015 landete er nach eigenen Angaben in Braunschweig. Die meisten Eritreer fliehen über die ostafrikanische Route nach Lybien und steuern von dort mit Booten auf europäisches Festland – Italien – zu. Über seine eigene Flucht oder seine Geschichte will der Auszubildendenichts erzählen.

Aus keinem anderen afrikanischen Land sollen 2015 laut Medienberichten so viele Menschen geflohen sein wie aus Eritrea. Dort herrscht kein Krieg, doch das „Nordkorea Afrikas“ wird von einem diktatorischen Regime beherrscht. Nach Angaben der Webseite „Fluchtgrund“, die vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unterstützt wird, versuchen jährlich tausende junge Eritreer die Flucht, um einer lebenslangen Wehrpflicht und Zwangsarbeit zu entgehen.

In seiner Heimat hat Yasin bis zur elften Klasse die Schule besucht, in unserer Region hat er den Hauptschulabschluss nachgeholt und zwei Sprachkurse absolviert. Mithilfe des IHAFA-Projekts probierte er im vergangenen Jahr mehrere Berufe aus und durchlief schließlich bei Kienemann ein fünfwöchiges Praktikum – im August startete er dann die Lehre zum Maurer. „Frau Meyer und ihre Kollegen suchen uns ständig einen Ausbildungsplatz. Wer Glück hat, bekommt dann einen“, sagt Yasin.

Er gehörte zu den Glücklichen, offenbar aber auch zu den Fleißigen. „Er war schon einer, der sehr selbstständig war, pünktlich kam“, berichtet Marlena Meyer, Leiterin des Projekts „Berufsorientierung für Flüchtlinge“ bei der Handwerkskammer. Veith Ristow, Yasins Ausbilder im Betrieb, bezeichnet den 29-Jährigen als „Paradebeispiel“. „Er macht die Arbeit zur vollen Zufriedenheit der Kollegen“, sagt Ristow. Yasin verstehe und spreche Deutsch gut und Fachbegriffe müsste jeder Azubi – auch jeder deutsche Azubi – während der Lehrzeit lernen.

„Vielleicht bin ich irgendwann auch so“

Kienemann-Gechäftsführer Wendland sagt, wenn bei Yasin alles so bleibe, „dann hat er einen Job“. „Wir bilden ja für uns aus.“ Dem Firmenchef zufolge war das Handwerk schon immer tolerant, Migranten gebe es nicht erst seit Neuestem im Mittelstand. „Wir haben Polen in einem gewissen Alter, Russen in einem gewissen Alter, Türken“, zählt er auf. „Jeder lernt von jedem“, ist Wendlands Devise. „Ich unterscheide nicht zwischen geflüchtet und hier geboren. Letztlich entscheiden Wille und Eindruck“, sagt er. Auch persönliche Kompetenzen wie Pünktlichkeit und Engagement seien bei angehenden Lehrlingen wichtig.

Von fremden- und flüchtlingsfeindlichen Parolen also keine Spur im Betrieb? „Ich erlebe keinen Rassismus. Und wenn, dann wäre ein Mitarbeitergespräch dran.“ Yasin habe mal das Gefühl gehabt, ihm sei etwas sehr kurz und knapp erklärt worden, berichtet Wendland. Aber das sei wohl dem ruppigen Ton geschuldet gewesen, der manchmal auf Baustellen herrsche. „Vielleicht bin ich irgendwann auch so“, sagt Yasin.

Kerstin Brandt, seit März Beraterin im IHAFA-Projekt in Braunschweig, bestätigt, dass es in den Betrieben, die Flüchtlinge ausbilden, interkulturell wenig Probleme gebe. „Das sind oft sehr engagierte Betriebe und Auszubildende“, erzählt sie. Es gebe inzwischen sogar Firmen, die ausschließlich geflohene Menschen ausbilden. Einige der Geflüchteten hätten massive Probleme, zum Beispiel mit der Ausländerbehörde, weil diese Namen und Herkunftsort wissen wollten und Druck aufbauten. „Wir versuchen dann, zwischen denen mit Ausbildungsduldung und der Behörde zu vermitteln, damit die Geflüchteten ihre Ausbildung zu Ende machen können.“ Das sei auch im Interesse des Betriebs. Zu den Handwerksfirmen hält die Beraterin nach eigenen Angaben lockeren Kontakt nach Bedarf. „Hier “, sagt sie, „ist die Situation einfach gut.“

Wie Meyer von der Handwerkskammer erläutert, bildeten viele Firmen so speziell aus, dass sie ihre Lehrlinge in jedem Fall übernehmen wollten. Flüchtlinge seien inzwischen außerdem ein wichtiger Teil der Fachkräfteakquise. „Sie sind ein Baustein, lösen aber nicht den Fachkräftemangel“, sagt Meyer. Viele der Auszubildenden aus Afrika, dem Nahen Osten und Co. seien praktisch richtig klasse, Schwierigkeiten bereite ihnen die Sprache. Mit der Fortsetzung des IHAFA-Projekts sollen sie deswegen nun bis zur Abschlussprüfung begleitet werden. Anfangs sah das Projekt eine Begleitung der Flüchtlinge für die ersten sechs Monate vor, wie IHAFA-Beraterin Brandt erklärt. „Wir wollen, dass sie die Ausbildung wirklich zu Ende machen können“, sagt sie. Die Berater unterstützen bei Behördengängen, Problemen in der Schule oder im Betrieb oder organisierten zum Beispiel einen Sprachkurs.

Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion

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Yasin erklärt: „Alles ist neu: der Beruf, das System der Ausbildung, die Schule, der Betrieb, die Sprache in der Schule.“ Der angehende Maurer hat in seinem ersten Lehrjahr schon bei zahlreichen Bauprojekten der Region mitgearbeitet: Im sanierten Konrad-Koch-Quartier in der Braunschweiger Innenstadt (ehemals City-Point) hat er zum Beispiel Innenwände gemauert und Treppen geschalt, in einer VW-Halle in Salzgitter mauerte und betonierte er unter anderem Decken und Wände. Sein Traumberuf ist Maurer nicht, sagt Yasin, aber: „Jeder Beruf macht nicht immer Spaß. Aber es läuft gut und ich möchte es weitermachen.“

*Name von der Redaktion geändert