Berlin. Auf dem Papier ist ein sozialer Pflichtdienst eine gute Idee, doch die Erfahrung zeigt: Freude am Helfen lässt sich nicht verordnen.

Wehrdienst, Sozialdienst: Bei solchen Begriffen schwirren vielen jungen Menschen Erzählungen im Kopf herum – von der Bundeswehr, von Verweigerung und der Erleichterung, keinen Dienst mehr leisten zu müssen. Überwiegend nicht sehr positive Erfahrungen. Jetzt wollen Teile der SPD nach der parlamentarischen Sommerpause einen sozialen Pflichtdienst von mindestens drei Monaten vorantreiben. Junge Menschen sollen auf diese Weise über den eigenen Tellerrand hinausschauen, erklärte Bundespräsident Steinmeier. Doch wollen junge Menschen das überhaupt?

SPD-Politiker Dirk Wiese erhofft sich durch den Vorschlag mehr Respekt und ein stärkeres Miteinander in Deutschland, das ihm offenbar verloren zu gehen droht – etwa wenn sich Menschen weigern, Rettungsgassen zu bilden. Aber kann ein sozialer Pflichtdienst bei diesen Problemen wirklich Abhilfe schaffen? Zumal, den Freiwilligendienst oder ein Freiwilliges Soziales Jahr gibt es bereits heute in Deutschland. Und beides kann unglaublich bereichernd sein.

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Nach der Schule eine Zeit lang die gewohnte Umgebung hinter sich zu lassen, in die Arbeitswelt zu schnuppern und mit den unterschiedlichsten Menschen in Kontakt zu kommen, kann die eigene Sichtweise auf viele Dinge verändern. In der Theorie ist der SPD-Vorschlag also richtig. Soziales Engagement kann helfen, Vorurteile abzubauen, und einen respektvollen Umgang miteinander fördern. Aber nicht als Zwang.

Ein sozialer Pflichtdienst wird auf Widerstand stoßen

Wenn Jugendliche oder junge Erwachsene dazu verpflichtet werden, einen sozialen Dienst von mindestens drei Monaten zu absolvieren, dann wird das auf Widerstand stoßen. Es ist unbestreitbar, dass Vereine und ehrenamtliche Organisationen auf Freiwillige angewiesen sind. Ihre Zahl nimmt ab, das ist ein Problem.

Rieke Smit ist Volontärin in der FUNKE Zentralredaktion.
Rieke Smit ist Volontärin in der FUNKE Zentralredaktion. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Trotzdem kann es keine Lösung sein, junge Menschen, die sich nach der Corona-Pandemie und einem jahrelangem Bildungsweg einfach nur wünschen zu reisen oder die Seele baumeln zu lassen, zu sozialer Arbeit zu verpflichten. Woher soll die Motivation kommen, wenn man so etwas nicht freiwillig macht? Wie können beide Seiten von einer solchen Arbeit profitieren, wenn kein eigener Antrieb dahintersteckt?

Fraglich ist auch, wie eine solche Arbeit nachhaltig sein kann, wenn sie nur drei Monate dauert. In den meisten ehrenamtlichen Projekten sind Freiwilligendienste auf einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten hin angelegt – und das aus gutem Grund.

Ehrenamtliches Engagement muss flexibel möglich sein

Außer Frage steht, dass es wichtig ist, sich ehrenamtlich zu engagieren. Damit ein Miteinander in unserer Gesellschaft funktioniert, braucht es Grundpfeiler wie Respekt und Nächstenliebe. Doch statt staatlicher Programme, die sich für viele junge Menschen wie eine Bürde anfühlen, müssen andere Lösungen her. Auch mehr Förderung für die bestehenden Angebote wäre wichtig.

Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion

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Empirische Daten belegen, dass es nicht am Engagement in der jungen Generation fehlt. Aber die Art, wie sich junge Menschen engagieren, hat sich verändert. Freiwillige soziale Arbeit ist flexibler geworden, findet spontaner statt und lässt sich kaum in vorgeschriebene Zeiten oder Aufgaben pressen.

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Junge Menschen sollten motiviert werden, sich wieder stärker direkt vor Ort zu engagieren – im eigenen Sportverein, dem Jugendclub um die Ecke oder städtischen Hilfsorganisationen. Dafür müssen Anreize geschaffen werden, die auf die gewünschte Flexibilität reagieren und mit den vorhandenen Strukturen verbunden sind. Dann erleben auch junge Menschen, wie viel ein „freiwilliges“ soziales Engagement ihnen bringen kann.