Kiew. Sogar in Russland wird der Ukrainer Dmytro Lubinez gelobt: Er verhandelt über den Austausch von Gefangenen –darunter viele Kinder.

Wenn es gelingt, Landsleute aus Russland zurückzuholen, ist das für viele Ukrainer fast wie ein Wunder. Die Rückholung verschleppter Kinder oder ein Gefangenenaustausch zwischen Kriegsparteien ist immer höchst komplex – besonders wenn die Kampfhandlungen andauern. Zuletzt machte ein Flugzeugabsturz nahe Belgorod am 24. Januar Schlagzeilen, bei dem möglicherweise 64 ukrainische Kriegsgefangene auf dem Weg nach Russland ums Leben gekommen sind. Belege gibt es dafür bisher noch nicht, die Ukraine fordert Aufklärung. Nichtsdestotrotz wirft der Vorfall ein Schlaglicht auf die heikle Mission, gefangene ukrainische Soldaten und nach Russland entführte Kinder nach Hause zu holen.

Lesen Sie auch: Ukraine-Krieg: Warum hat Putin angegriffen? Was will Russland?

Der Mann, der federführend dafür zuständig ist, heißt Dmytro Lubinez. Neben Kyrylo Budanow, Chef des Militärgeheimdienstes HUR, und dem einflussreichen Verteidigungsminister Rustem Umerow, der enge Kontakte in die arabische Welt hat, ist vor allem der 42-jährige Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments ein stiller Held dieses Krieges. Neben den Verhandlungen über Gefangenenaustausche ist seine wichtigste Aufgabe die Rückholung verschleppter Kinder aus Russland.

podcast-image

Ukraine: 2800 Kriegsgefangene konnten zurückgeholt werden

Lubinez stammt aus der von russischen Truppen besetzten Stadt Wolnowacha im Bezirk Donezk. Nicht nur deshalb kennt er den Krieg wie wenige. Er fuhr in den ersten Kriegsmonaten als freiwilliger Helfer an die Front, bevor er im Sommer 2022 sein Amt antrat. Keine einfache Aufgabe für den gelernten Historiker und Juristen. Zumal seine Vorgängerin Ljydmyla Denissowa heftig umstritten war. Ihre Kritiker sagen, sie sei „ineffektiv“ gewesen. Zudem machte sie mit plastischen Beschreibungen von Sexualverbrechen russischer Soldaten in den besetzten Gebieten Schlagzeilen, die zum Teil nicht verifizierbar waren. Das habe der Glaubwürdigkeit der Ukraine nach Meinung von Beobachtern geschadet. Nun soll Lubinez es richten.

Kinder warten darauf, nach Kiew gefahren zu werden.
Kinder warten darauf, nach Kiew gefahren zu werden. © REUTERS | VALENTYN OGIRENKO

Er macht nicht viel Aufhebens um seine Person. Seine effektive Arbeit spricht für sich. Insgesamt konnte Kiew im Laufe dieses Krieges mehr als 2800 seiner Soldaten zurückholen. Der Verhandlungsprozess, der hinter diesen Zahlen steht, ist immer angespannt und extrem komplex. Im direkten Austausch mit der russischen Kollegin Tatjana Moskalkowa versucht er, Ruhe zu bewahren. Obwohl er Russland als „Terrorstaat mit verbrecherischen Motiven“ bezeichnet, nimmt er sich in den Gesprächen zurück, lässt sich nicht provozieren, wenn sie öffentlich über angebliche US-Biolabore in der Ukraine schimpft und Propaganda verbreitet.

Mehr zum Thema: Russland: Tausende Kinder verschleppt – Nastia erzählt ihre Geschichte

Als er sich im Oktober 2022 erstmals persönlich mit Moskalkowa traf und ein Foto ihres Handschlags im Netz kursierte, löste dies einen kleinen Shitstorm in der ukrainischen Öffentlichkeit aus. Lubinez reagierte souverän: „Als Menschenrechtsbeauftragter habe ich kein Recht auf Emotionen. Ich habe keine Wahl. Als Gesellschaft müssen wir die Frage des Überlebens unserer Bürger in den Vordergrund rücken. Deswegen mache ich diesen Job.“

Der 42-jährige Dmytro Lubinez ist gelernter Historiker und Jurist, seit 2014 Parlamentsabgeordneter in der Ukraine. Im Sommer 2022 übernahm er die Rolle als Menschenrechtsbeauftragter und ist nun unter anderem für die Rückholung verschleppter Kinder aus Russland zuständig.
Der 42-jährige Dmytro Lubinez ist gelernter Historiker und Jurist, seit 2014 Parlamentsabgeordneter in der Ukraine. Im Sommer 2022 übernahm er die Rolle als Menschenrechtsbeauftragter und ist nun unter anderem für die Rückholung verschleppter Kinder aus Russland zuständig. © Anadolu/Getty Images | Getty Images

Obwohl er die Zusammenarbeit mit Moskalkowa anfangs positiv bewertete, hat sich der Kontakt inzwischen auf ein Minimum beschränkt. Sein Büro sendet wöchentlich Informationen über Verletzungen von Kriegsgefangenen, zivilen Geiseln und politischen Gefangenen nach Moskau. „Man gewinnt den Eindruck, dass die russische Seite überhaupt kein Interesse an den russischen Soldaten hat, die sich in der Ukraine in der Gefangenschaft befinden“, sagte Lubinez im November dem französischen Radiosender RFI.

Russischer Journalist: „Lubinez ist ein Name, den man sich merken sollte“

Auch an der Rückholung der etwa 19.000 verschleppten Kinder arbeitet er intensiv. Ende Dezember kehrten drei weitere Kinder in die Ukraine zurück. Das Schwierigste dabei ist oft schon die Erstellung der Namenslisten.

Lesen Sie auch: Raketen auf Kiew: Der Weg zum Schutzraum ist oft zu riskant

Eine Frau hält ihre Tochter und ihren Sohn ganz fest: Beide Kinder waren in ein von Russen organisiertes Sommercamp gegangen und anschließend nach Russland gebracht worden. Schließlich konnten sie zu ihrer Mutter zurückkehren.
Eine Frau hält ihre Tochter und ihren Sohn ganz fest: Beide Kinder waren in ein von Russen organisiertes Sommercamp gegangen und anschließend nach Russland gebracht worden. Schließlich konnten sie zu ihrer Mutter zurückkehren. © REUTERS | VALENTYN OGIRENKO

Bei einem Gefangenenaustausch beispielsweise gibt es keine Garantie, dass die russischen Soldaten, die auf der Austauschliste stehen, am Ende wirklich ausgetauscht werden möchten. Denn im Herbst 2022 hat Moskau die Gesetzgebung geändert: Jedem droht eine Haftstrafe zwischen drei und zehn Jahren, der sich freiwillig der gegnerischen Armee ergibt. Der Begriff „freiwillige Aufgabe“ bedeutet laut der Definition des Obersten Gerichts Russlands, dass es eine Möglichkeit gab, „gegen den Feind entscheidenden Widerstand zu leisten und einer Gefangennahme zu entgehen“. Wie genau das festgestellt werden soll, ist völlig unklar.

Ukraine-Krieg: Viele der Kinder haben keine Dokumente

Auch die Kinderliste ist komplex, weil es rund 19.000 Einzelschicksale sind. Es handelt sich um Kinder aus den seit dem 24. Februar 2022 besetzten Gebieten, aber auch aus Regionen, die bereits seit 2014 eingenommen wurden. Die Eltern können unterschiedlicher Meinung über die Zukunft des Kindes sein und sich auf verschiedenen Seiten der Front befinden. Viele Kinder haben keine Dokumente und müssen für die Rückholung manchmal direkt durch die Front gefahren werden, was zahlreiche zusätzliche Absprachen erfordert.

Insgesamt konnte die Ukraine bisher fast 400 Kinder zurückholen, und das ist nicht zuletzt der Verdienst von Dmytro Lubinez, einem Mann, der für seine Effizienz und Seriosität sogar in Moskau leise gelobt wird. Und für seine Hartnäckigkeit. „Lubinez ist ein Name, den man sich merken sollte“, sagt der russische Journalist Aleksej Wenediktow, der Kontakte zur Menschenrechtsbeauftragten Moskalkowa plant und an einigen Gefangenenaustauschen im seit 2014 laufenden Donbass-Krieg beteiligt war.

Mehr Reportagen von Kriegsreporter Jan Jessen