Osterode am Harz. Stück für Stück verlieren wir Dinge, die früher selbstverständlich waren. Es muss sich niemanden wundern, wenn die Leute zynisch werden, findet Kevin Kulke.

Nostalgie gehört zu den stärksten Emotionen, die Menschen empfinden: Wenn sie Überhand nimmt, wird sie gefährlich. Im Altkreis Osterode herrscht sie dieser Tage aller Orten. Die Meldung über den Fortgang der Geburtshilfe im Krankenhaus Herzberg, das Wegfallen des Wellness-Angebotes im Aloha Aqualand in Osterode am Harz oder Bad Sachsas Ausstieg aus dem Harzer Urlaubsticket Hatix sind nur die jüngsten Beispiele. Stück für Stück gehen Dinge verloren, die einst selbstverständlich waren. Politik und Verwaltung knirschen mit den Zähnen. Meistens bleibt es bei formellem Protest.

Der Rat der Stadt Osterode stärkt der Verwaltung bezüglich der gestrichenen Wellness-Angebote den Rücken: Überfällig wäre sie gewesen, diese Entscheidung. Geradezu erleichtert wirkt das. Dass diese Entscheidung bei den Menschen in der Stadt Bestürzung auslösen könnte, hätten alle Beteiligten ahnen können. In den sozialen Netzwerken überschlagen sich die Kommentare: Häme, Zynismus und Enttäuschung.

Die schwarze Null: Ein Fetisch mit Verfassungsrang

Verstehen Sie mich an dieser Stelle nicht falsch: Die Entscheidung der Verwaltung war richtig, die Argumente dafür schlüssig. Gleichwohl überrascht, dass gerade mal ein einziges Mitglied des Stadtrates, FDP-Mann Marcus Danne, offen ausspricht, was alle wissen: Die Entscheidung hätte schon vor Jahren getroffen werden müssen. Wurde die Einsicht bis zum letzten Moment hinausgezögert? So entsteht der Eindruck eines unaufhaltbaren Verfalls: Erst die Rutsche, dann das Bistro, jetzt die Wellness-Angebote. Was kommt als Nächstes? Das Wasser im Becken, wie manche Zyniker scherzen?

Und in Herzberg entscheidet die Helios-Klinik, ihre Geburtshilfestation zu schließen: „Ein weiterer Schritt zur Schwächung des ländlichen Raums“, wie SPD-Mann Jörg Hüddersen korrekt befindet. Doch Helios ist ein privates Unternehmen, und da geht es am Ende eben um Cash und nicht den armen ländlichen Raum. Denn zur Wahrheit gehört: Wir verlieren unsere Infrastruktur nicht, wir haben sie längst verloren. Wir haben sie privatisiert, abgeschaltet, weggerechnet, kaputtgespart.

Und zu allem Überfluss haben wir den Zwang zum Sparen auf höchster Ebene zum fiskalischen Fetisch mit Verfassungsrang geadelt: Die Schuldenbremse steht im Grundgesetz (Artikel 109 und 115). Und ein Blick auf die Umfragewerte in Deutschland gibt mir keinen Anlass zu glauben, dass sich das bald ändern wird. So bleiben die Schulen marode, der Ausbau der erneuerbaren Energien lahmt und der ländliche Raum wird im Angesicht des schleichenden Verfalls immer unattraktiver. Kein Wunder, wenn die Leute da zynisch werden.

Doch Gott sei Dank haben wir wenigstens die Nostalgie. Alle Bäder stehen still, wenn Dein starker Arm es will.

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