„Was es dringend braucht, ist eine echte, reflektierte Aufarbeitung, die am Ort des Geschehens sichtbar wird.“

78 Jahre nach Kriegende soll es in diesem Jahr endlich so weit sein: Das Gelände der ehemaligen Munitionsanstalt „Muna“ in Kampstüh in der Gemeinde Lehre soll für kampfmittelfrei erklärt werden. Das ist zum einen eine gute Nachricht für Natur und Gesellschaft. Zum Anderen ist es auch ein Armutszeugnis.

Jahrzehntelang lagen tonnenweise Granaten, Patronen, Bombenteilen, und, wie jetzt bekannt wurde, auch Reizstoffe einfach so im Boden. Niemand unternahm etwas – auch, weil die Nazivergangenheit in Lehre lange Zeit verdrängt wurde. Oder, um es mit den Worten eines Mannes, der 1980 eine auf dem Gelände gefundene Senfgasgranate öffnete und dabei fast sein Leben verlor, auszudrücken: „Keiner scherte sich darum.“

Bis zum Beginn der Kampfmittelräumung dauerte es Jahrzehnte

Erst durch seinen Unfall begann die Öffentlichkeit, sich zu scheren. Aber nicht genug. Denn bis zur eigentlichen Räumung des Geländes sollten weitere 40 Jahre vergehen. 40 Jahre! Nachdem jemand durch die Folgen seiner Buddeleien auf dem Gelände fast sein Leben verloren hätte – und also bekannt war, was dort im Boden schlummerte und womöglich das Ökosystem vergiftete.

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Und so richtig ist es mit dem Scheren auch heute nicht so weit her. Ja, es gibt die gelegentliche Ausstellung zur Zwangsarbeit in der Muna, die jährliche Gedenkveranstaltung, und mittlerweile auch eine Infotafel. Vor allem ein Mann, der ehemalige Ratsherr Uwe Otte, engagiert sich leidenschaftlich für die Erinnerung und Mahnung an die Gräueltaten, die in der Muna geschehen sind. Mehr als tausend Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter mussten hier unter menschenunwürdigen Bedingungen Munition herstellen, starben, wurden entsorgt, ersetzt.

Statt eines Gedenkortes befinden sich verschiedene Gewerbe auf dem Muna-Gelände

Aber eine richtige, spür- und vor allem sichtbare Auseinandersetzung fehlt bis heute. Statt eines Gedenkortes, eines Museums oder wenigstens totenstiller Leere beherbergen die alten Gebäude heute unter anderem ein Autohaus und eine Lackiererei. Nach Informationen unserer Zeitung wollte vor einigen Jahren ein Privatmann ein kleines Museum für Weltkriegswaffen auf dem Gelände etablieren. Dafür forderte er mittels Flugblättern die örtliche Bevölkerung auf, ihm Gefundenes auch aus der Muna zu überlassen.

Was es also dringend braucht, ist eine echte, reflektierte und am besten institutionalisierte Aufarbeitung, die am Ort des Geschehens sichtbar wird. Und damit meine ich etwas, das über eine Infotafel hinausgeht. Schließlich hat die Muna, genau wie jedes Konzentrationslager und jeder andere Austragungsort der Nazi-Vergangenheit, eine so wichtige Botschaft zu vermitteln. Sie könnte als Mahnort zum dem Symbol gegen Rechtsextremismus und Faschismus in unserer Region überhaupt werden. Dafür müsste allerdings noch einiges passieren.

Naja, immerhin wurden im letzten Jahr Hinweisschilder an der Straße aufgestellt.