Harz. Jedes Jahr aufs neue wiederholt sich ein Stau im Harz. Der Grund ist ein Festival der Superlative. Wir haben die Metalllawine besucht.

Einmal im Jahr schlängelt sich eine riesige Schlange durch den Harz. Technisch gesehen sogar drei. Zwei über die Landstraßen aus Ballenstedt und Badeborn und eine über einen Feldweg. Sie enden am Flugplatz Ballenstedt. Dort wo sonst Segelflieger starten und landen, findet einmal im Jahr das Rock Harz Festival statt. Es ist mit rund 25.000 Besuchern eins der größten seiner Art in Deutschland. Und diese Besucher reisen per Auto an. Der Anreisetag beim Rock Harz am Ballenstedter Ortsteil Asmusstedt ist aber jedes Jahr aufs neue holprig, nicht nur wegen der Schotterwege. Den Fans aber bricht das keinen Zacken aus der Krone.

Rock Harz: Ein Stau als Ritual

Es ist bewölkt in Sachsen-Anhalt, nah an der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Die Temperaturen erinnern eher an den Herbst als an Anfang Juli, und doch erinnert der Stau, der sich durch die sanften Hügel des Harzvorlands zieht, an den Sommerferienbeginn auf der A2. Die Stimmung aber ist besser. Bereits um 8 Uhr stehen Metalfans hier. Sie hören Musik, trinken Bier und frühstücken. Der Stau im Landkreis Harz ist für gestandene Festivalfans zu einer Art Ritual geworden.

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Ein Ritual, das sich kaum verhindern lässt. Über drei Zugänge werden die Menschenmassen in ihren Autos auf die Wiesen geleitet, die sich innerhalb von Stunden in einen Zeltplatz von der Größe einer Kleinstadt verwandeln wird. Das Rock Harz hat ein Konzept, das auf vielen anderen Festivals schon längst passé ist: das Parken neben dem eigenen Zelt. Die Wege sind kurz, das Schleppen von weit entfernten Parkplätzen entfällt. Oder eben das Zelt. Es sind zunehmend Wohnmobile, die sich den Weg auf den Zeltplatz bahnen.

Das Staufrühstück im VW Bus

Einen etwas anderen Ansatz haben Nico, Stephan und Vivienne. Die drei kommen aus dem Lipperland im östlichen Nordrhein-Westfalen. Seit 8:30 Uhr stehen sie hier, übernachtet haben sie bei Freunden in der Nähe. Die lange Anfahrt am Morgen wollten sie vermeiden. „Wir sind aber eine große Gruppe von überall her“, erklärt Vivienne. Sie haben sich auf Rock Harz kennengelernt. Nico kommt seit 2016 Jahr um Jahr wieder, Vivienne seit 2017. Stephan ist noch nicht allzu lang dabei, wie lang genau weiß man in der Gruppe nicht. Die Schätzungen sind unterschiedlich, jedenfalls kurz. Aber er hat ein besonderes Pfund zum Wuchern mitgebracht: seinen geliebten VW T4.

„Das habe ich alles selbst umgebaut“, sagt er stolz, als sich der Stau in Bewegung setzt. Nico verdreht die Augen. „Ich kanns nicht mehr hören.“ Stephan beginnt über seinen Bus zu erzählen. „460.000 Kilometer hat er runter, hat einen 2,5 Liter TDI-Motor. Und vor 100.000 Kilometern habe ich das erste Mal die Kupplung gewechselt.“ Nico springt derweil aus dem Bus. Er braucht ein „Dixi-Klo“, wie er sagt. Die drei Freunde haben es mittlerweile aufs Festivalgelände geschafft. Der Fahrer greift schon vorsichtig nach einer Dose Bier hinter seinem Sitz. „Wir wollten ganz vorne in der Schlange stehen“, sagt Vivienne. Auch da hätten sie noch Zeit. Sie wollten ja im Stau noch frühstücken. Das gehöre dazu, ein Ritual eben. Ob sie schonmal weiter hinten im Stau gestanden hätten. „Klar“, sagt Stephan. „So 50 Meter.“ Er lacht. Der frühe Vogel fängt eben den Wurm.

Star Wars-Legenden unterhalten die Autofahrer

Um 10 Uhr wurden die Tore zum Gelände geöffnet. Langsam aber sicher schiebt sich die Metalllawine von den Landstraßen auf die Feldwege, die auf die Wiesen um den Flugplatz herum führen. Der Stau hat sich nicht wirklich aufgelöst, er hat sich verlagert. Jeder Stellplatz auf dem Campingareal wird zugewiesen. Erste Zeltlager sprießen aus dem Boden, während die Anreisenden etwas neidisch in das Tal hinabschauen.

Diese Cantinaband kommt nicht von Tattoine, sondern aus Nordrhein-Westfalen zum Rock Harz
Diese Cantinaband kommt nicht von Tattoine, sondern aus Nordrhein-Westfalen zum Rock Harz © FMN | Niklas Eppert

Für Unterhaltung sorgt derweil die „Cantinaband“. Eigentlich aus „Star Wars - Eine neue Hoffnung“ bekannt, hat sich die Gruppe vom fernen Planeten Tatooine im Harz eingefunden. Sie spielen, frei nach einer Parodie der amerikanischen Cartoon-Serie „Family Guy“, ein launiges Jazzstück, das einige Sekunden dauert. Wenn sie fertig sind, rufen sie „Dankeschön wir sind die Cantina-Band! Wenn ihr Songwünsche habt, ruft sie einfach!“ Irgendjemand antwortet dann „Spielt den selben Song nochmal!“ Darauf die Band wiederum: „Alles klar, denselben Song! Und los!“ Also spielen sie, Überraschung, denselben Song nochmal. Das kann stundenlang so weitergehen. Es ist ein eingeübtes Festivalritual.

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Wo die Bands noch mit den Fans campen

Eigentlich sind die fünf Freunde aber gar keine außerirdischen Jazzmusiker. Sie sind eine Gruppe aus dem Rhein-Ruhr-Gebiet, die seit mittlerweile einem Jahrzehnt ins Harzvorland pilgert. „Es ist wie nachhause kommen“, sagt einer von ihnen. Und dazu gehören auch die Rituale. Jeder von ihnen spielt ein Instrument, außerdem „waren wir auf einem Festival sehr betrunken“, erklären sie auf Nachfrage nach ihrem Stau-Entertainment. Die Autofahrer goutieren es. Ein zweites Mal müssen sie nie nach Songwünschen fragen. Die kommen ausreichend aus den PKW.

Einer von ihnen ist Tim Braatz. Braatz ist Keyboarder der Band Storm Seeker, sein Künstlername ist „Ughar der schrecklich Durstige“. Er und seine Band treten am Samstag auf dem Festival auf, um 12.30 Uhr. Ein früher Platz, aber im Angesicht der anderen Acts wohl verständlich. Am selben Tag spielt Iron Maiden-Frontmann Bruce Dickinson ein Konzert, davor Oomph! und etwas später die deutsche Heavy Metal Legende Udo Dirkschneider. Am Donnerstag stehen Rage und Hammerfall auf der Bühne. Freitags Kissin‘ Dynamite, Amaranthe und Alestorm. Samstag dann das Highlight des gesamten Festivals: Judas Priest. Kaum eine Band hat den Metal so geprägt, wie die Briten. Seit 1969 stehen sie mit Frontmann Rob Halford auf der Bühne. Höher in den Metal Olymp kann eine Band nicht steigen.

Rangierende Wagen auf dem Zeltplatz

In den Harzer Bergen dagegen stauen sich nach wie vor die, die diese Bands in den nächsten Tagen sehen sollen. Es ist mittlerweile später Nachmittag, die Blechlawine rollt weiter. Und sie ist größer geworden. Bis auf die Autobahnausfahrten stehen die Metalfans mittlerweile, über mehr als fünf Kilometer. Ein Ende ist nicht in Sicht. Den prüfenden Blick darauf wirft derweil Markus Helmhold. Helmhold ist Sicherheitschef beim Rock Harz. Der tätowierte Mann mit der umgedrehten Mütze thront auf einem Quad am Hang über einer der Zeltwiesen. „Läuft alles“, bemerkt er lakonisch, als er die Arme vor der Brust verschränkt. „Aber man sieht‘s ja. Die Wagen müssen rangieren.“ Die vielen Wohnmobile und Anhänger halten den Verkehr ein Stück weit auf. Sie nehmen mehr Platz ein, als ein normales Auto, entsprechend wird das Einweisen erschwert. Das wiederum wirkt sich auf die ganze Schlange aus.

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Das Rock Harz reagiert darauf mit einer Vergrößerung der Fläche. 2023, sagt Kai Wilhelm, Pressesprecher des Festivals, sei man etwas überrascht von der Masse der Anhänger gewesen. „Wir haben aber eine Ausweichfläche. Also konnten wir spontan einen weiteren Zeltplatz aufmachen.“ Das entspannte die Lage etwas. 2024 vergrößerte der Veranstalter „Veruga“, der das Festival seit 1993 veranstaltet, seine Fläche um weitere vier Hektar. Insgesamt hat das Festivalgelände laut frei zugänglichen Satellitenbildern etwa 60 Hektar, also zirka 84 Fußballfelder. Eine Fläche, auf der jeder der 25.000 Festivalbesucher Platz finden sollte. Auch wenn sie wohl bis in die Abendstunden im legendären Rock Harz-Stau stehen.

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