Wolfsburg. 2023 entging Wolfgang Porsche nur knapp einem Tortenwurf. Dieses Jahr war die Versammlung digital. Protest gab es in Wolfsburg trotzdem.

Im Berufsverkehr an der Braunschweiger Straße hat sich am Mittwochmorgen ein ungewohntes Bild gezeigt: auf der normalerweise schlichten Wiese an der Golf-Skulptur sind fünfzig Kreuze aufgetaucht, das XXL-Fahrzeug an sich ziert ein Banner mit der Aufschrift „Autofahren kann tödlich sein“. Das ist der Auftakt eines Protesttags in Wolfsburg anlässlich der diesjährigen Volkswagen-Hauptversammlung. Am Vormittag waren die Kreuze bereits wieder entfernt worden.

"Autofahren kann tödlich sein" - damit erregen die Aktivisten von Amsel44 am Mittwochmorgen Aufmerksamkeit. Sie dekorierten in der Nacht die Golf-Skulptur an der Braunschweiger Straße in Wolfsburg. © FMN | Amsel44

Vor den Toren Sandkamp, 17 und Ost waren am Vormittag jeweils fünf bis sechs Aktivisten vertreten. Die Polizei war mit vielen Einsatzkräften vor Ort, hatte aber alles unter Kontrolle. Der Versuch eines Aktivisten, das Dach der Wache Sandkamp dauerhaft zu besetzen, scheiterte. Eine der Forderungen lautet “VW in Arbeiter*innenhand”. „Allein hier in Wolfsburg arbeiten 60.000 Beschäftigte und müssen dank Performance Programm des Vorstands um ihren Job fürchten. Währenddessen hat im virtuellen Raum die Hauptversammlung der Aktionäre begonnen, wo an sehr wenige, sehr reiche Menschen Milliarden an Dividende ausgeschüttet werden soll. Das ist zum Schreien ungerecht! VW steht ab sofort für Vergesellschaftung wagen!“, heißt es in einer Mitteilung der Gruppe „Amsel 44“.

Protest rund um VW-Versammlung – Bilder der Aktionen

Die auf dem Banner behauptete Besetzung der Wache Sandkamp war allenfalls ein zeitweiliger Erfolg der Aktivisten.
Die auf dem Banner behauptete Besetzung der Wache Sandkamp war allenfalls ein zeitweiliger Erfolg der Aktivisten. © Wolfsburger Nachrichten | Privat/Verkehrswendestadt
An der Brücke zur Autostadt haben Aktivisten Banner angebracht.
An der Brücke zur Autostadt haben Aktivisten Banner angebracht. © Wolfsburger Nachrichten | Privat/Verkehrswendestadt
"Autofahren kann tödlich sein" - damit erregen die Aktivisten von Amsel44 am Mittwochmorgen Aufmerksamkeit. Sie dekorierten in der Nacht die Golf-Skulptur an der Braunschweiger Straße in Wolfsburg. © FMN | Amsel44
Mit einem Banner protestierten Aktivisten von Robin Wood gegen den Ausbau einer Porsche-Teststrecke in Süditalien.
Mit einem Banner protestierten Aktivisten von Robin Wood gegen den Ausbau einer Porsche-Teststrecke in Süditalien. © Wolfsburger Nachrichten | Robin Wood
Begleitend zur Hauptversammlung von Volkswagen (virtuell) wird es Aktion von Amsel 44/Klimaschützern in Wolfsburg geben. Hier am Tor Sandkamp.
Begleitend zur Hauptversammlung von Volkswagen (virtuell) wird es Aktion von Amsel 44/Klimaschützern in Wolfsburg geben. Hier am Tor Sandkamp. © regios24 | Helge Landmann
Aktivisten von Robin Wood protestieren am Mittwoch vor dem VW-Werk.
Aktivisten von Robin Wood protestieren am Mittwoch vor dem VW-Werk. © Verkehrswendestadt | Privat
An zahlreichen Stellen in der Stadt machen die Aktivisten am Mittwoch auf sich und ihre Forderungen aufmerksam.
An zahlreichen Stellen in der Stadt machen die Aktivisten am Mittwoch auf sich und ihre Forderungen aufmerksam. © Verkehrswendestadt | Privat
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Am VW-Tor Ost gab es eine alternative Infoveranstaltung.
Am VW-Tor Ost gab es eine alternative Infoveranstaltung. © regios24 | Helge Landmann

In einer Zwischenbilanz zur „alternativen Hauptversammlung“ schreiben die Aktivisten: „Überall in der Stadt sprießen zahlreiche weitere Aktionen aus dem Boden, ob Bannerdrops oder gemeinsame Soli-Aktionen zwischen VW-Arbeiter*innen und Aktivisti. Für eine echte #Verkehrswende, eine kämpferische #Gewerkschaft und die #Vergesellschaftung von VW. Es gilt den Laden umfassend umzukrempeln! #DisruptVolkswagen. Unter anderem Abseilaktion über die Autostadtbrücke mit einem Banner und der Aufschrift: “Achtung Umbauarbeiten: Transformation = Konversion + Vergesellschaftung. Autostadt zur VerkehrsWendestadt.“

Die auf dem Banner behauptete Besetzung der Wache Sandkamp war allenfalls ein zeitweiliger Erfolg der Aktivisten.
Die auf dem Banner behauptete Besetzung der Wache Sandkamp war allenfalls ein zeitweiliger Erfolg der Aktivisten. © Wolfsburger Nachrichten | Privat/Verkehrswendestadt

Robin Wood protestiert gegen Ausbau einer Porsche-Teststrecke

Auch Robin Wood nutzte die VW-Hauptversammlung für eine Aktion. Sie protestierten gegen den Ausbau einer Auto-Teststrecke im süditalienischen Apulien. Dazu entrollten sie am Mittellandkanal mit Blick auf das VW-Werk sowie an weiteren Stellen rund um die „Autostadt“-Ausstellungsfläche ein Banner mit der Aufschrift: „Porsche, Hands Off Bosco D‘Arneo! Save the Oak Trees in Italy!“ („Porsche, Hände weg vom Bosco D‘Arneo! Rettet die Eichen in Italien!“). Porsche gehört zum VW-Konzern, der mehrheitlich von den Familien Porsche und Piëch kontrolliert wird. Robin Wood fordert den Autokonzern auf, sämtliche Pläne für den Ausbau der Teststrecke aufzugeben.

Mit einem Banner protestierten Aktivisten von Robin Wood gegen den Ausbau einer Porsche-Teststrecke in Süditalien.
Mit einem Banner protestierten Aktivisten von Robin Wood gegen den Ausbau einer Porsche-Teststrecke in Süditalien. © Wolfsburger Nachrichten | Robin Wood

Porsche betreibt seit 2012 die bereits in den 1970er Jahren entstandene Teststrecke in Apulien. Durch deren geplante Erweiterung sind 200 Hektar eines jahrhundertealten Steineichenwaldes bedroht, so die Umweltaktivisten. „Es wäre ein fatales Signal, mitten in der Klimakrise einen für die Region wichtigen Wald für Luxus-Autos zu zerstören“, sagt Annika Fuchs, Mobilitätsreferentin bei Robin Wood. „Porsche behauptet, durch Aufforstung den Schaden durch die Waldzerstörung für seine Rennstrecke beheben zu können. Doch in einer trockenen und von Versalzung des Grundwassers betroffenen Region lässt sich kein neuer Steineichenwald pflanzen – ganz zu schweigen von den Jahrzehnten bis Jahrhunderten, die es dauert, bis ein Wald wieder annähernd die ursprüngliche Funktion als Lebensraum und CO2-Speicher erfüllen kann, wenn das in der Klimakrise überhaupt noch möglich ist. Daher setzen wir uns für einen endgültigen Stopp dieses Bauprojekts ein!“

Nach Protesttag in Wolfsburg: Polizei vermeldet ruhigen Einsatzverlauf

Die Polizei Wolfsburg berichtet am Mittwochabend von mehreren kleinen Aktionen, die neben den drei im Vorfeld angemeldeten Versammlungen in Wolfsburg stattfanden. Diese wurden durch die Polizeikräfte als Versammlungen deklariert. Insgesamt wurden dabei die Personalien von elf Personen aufgenommen, nach Abschluss der polizeilichen Maßnahmen wurden die Personen aber entlassen.

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In vier Fällen musste die Polizei härter durchgreifen. Eine Person wurde von den Beamten weggetragen, als diese das Werksgelände am Tor Sandkamp nicht verlassen wollte. Zudem wurden einige Aktivisten von ihrem ursprünglich für ihre Versammlung ausgesuchten Ort verwiesen. Insgesamt wurden vier Strafverfahren wegen Hausfriedensbruch und ein Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz eingeleitet.  Die Einleitung weiterer Verstöße werden aktuell geprüft, so die Polizei abschließend.

An der Brücke zur Autostadt haben Aktivisten Banner angebracht.
An der Brücke zur Autostadt haben Aktivisten Banner angebracht. © Wolfsburger Nachrichten | Privat/Verkehrswendestadt

Deshalb ist die VW-Hauptversammlung 2024 besonders

Bei Europas größtem Autobauer Volkswagen kamen die Aktionäre an diesem Mittwoch zur Hauptversammlung zusammen. Vor einem Jahr hatten Klima- und Menschenrechtsaktivisten die Hauptversammlung empfindlich gestört. VW-Aufsichtsrat Wolfgang Porsche (80) wurde auf dem Podium nur knapp von einem Tortenwurf verfehlt, eine Aktivistin protestierte später mit freiem Oberkörper gegen das chinesische Werk in der Provinz Xinjiang. Vor dem Versammlungsgebäude gab es Klimaproteste und Straßenblockaden auf Zufahrtsstraßen.

Oliver Blume, Vorstandsvorsitzender der Porsche AG und der Volkswagen AG, spricht bei der Vollversammlung der Volkswagen AG-Hauptversammlung 2023 (Archivbild).
Oliver Blume, Vorstandsvorsitzender der Porsche AG und der Volkswagen AG, spricht bei der Vollversammlung der Volkswagen AG-Hauptversammlung 2023 (Archivbild). © DPA Images | Britta Pedersen

Anders als im vergangenen Jahr, als VW-Chef Oliver Blume seine Anteilseigner im CityCube in Berlin begrüßt hatte, fand das Treffen nun wieder rein digital statt. Proteste im Saal wie vor einem Jahr gab es demnach nicht. Offiziell begründet VW die Rückkehr zum rein digitalen Format mit Kostengründen.

In Wolfsburg hatten verschiedene Gruppen bereits im Vorfeld dezentrale Protestaktionen angekündigt.

Kritik von Aktionären an digitaler Veranstaltung

Aktionsvertreter kritisieren die Entscheidung, nach zwei Präsenz-Versammlungen wieder rein virtuell zu tagen. „In Berlin mussten Sie sich vor der auf Sie zufliegenden Torte wegducken, und heute – im virtuellen Raum – ducken Sie sich vor Ihren Aktionären weg“, sagt Ingo Speich von der DekaBank laut vorab veröffentlichtem Redemanuskript. „Das ist sehr bedauerlich und schadet nicht nur der Unternehmens-, sondern insbesondere der Aktionärskultur in Deutschland.“ 

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Janne Werning von Union Investment pflichtet dem bei. Beide forderten VW auf, die Aktionäre künftig wieder zu Präsenztreffen einzuladen. „Nur dort ist eine lebhafte Generaldebatte möglich, nur dort können die Aktionäre mit ihren Fragen und Anliegen den gesamten Vorstand und Aufsichtsrat erreichen“, sagt Werning laut dem vorab veröffentlichten Redemanuskript.

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