Paderborn/Wolfsburg. Ganz Frankreich fragt sich vor dem EM-Spiel gegen die Niederlande: Kann Kylian Mbappé spielen? Auch Oranje diskutiert über den Sturm.

Natürlich bestimmte die Nase der Nation auch am Donnerstag die Schlagzeilen in Frankreich, und dazu hatte der Mann, zu dem jene Nase gehört, wieder einmal gehörig beigetragen. „Ohne Risiko keine Siege“, twitterte der Kylian Mbappé, Kapitän der Équipe Tricolore, in die Welt hinaus und befeuerte damit alle Spekulationen noch einmal: Würde Frankreichs Starstürmer spielen können im zweiten EM-Gruppenspiel gegen die Niederlande am Freitag (21 Uhr/ARD und Magenta)? Und das nur vier Tage, nachdem er bei 1:0-Sieg gegen Österreich einen Nasenbeinbruch erlitten hatte?

Auf der Pressekonferenz einen Tag vor dem Spiel machte Trainer Didier Deschamps zumindest etwas Hoffnung: „Es geht in die richtige Richtung, dass er morgen verfügbar ist. Wir werden alles geben“, sagte der Chefcoach vor dem Training. In der Einheit war Mbappé im Mannschaftstraining mit einer Spezialmaske in den französischen Landesfarben aufgelaufen, die die lädierte Nase schützen soll.

In der ersten Viertelstunde der Einheit absolvierte Mbappe einige Laufübungen mit der Gruppe. Sehr oft versuchte er dabei, seine Maske neu zu justieren. Hoffnung machen aber die Aussagen seiner Teamkollegen.  „Gute Nachrichten, es ging ihm heute Morgen besser“, berichtete William Saliba, Mbappe habe sich einigen Untersuchungen unterzogen. Antoine Griezmann erklärte derweil, dass man „bis zum letztmöglichen Moment“ vor dem Spiel warten wolle.

Spielt Kylian Mbappé - oder schont ihn Frankreichs Trainer Didier Deschamps?

Möglicherweise steuert Trainer Didier Deschamps auf ein Dilemma zu: Mbappé ist der einzige Spieler in seinem funkelnden Kader, der nicht annähernd gleichwertig zu ersetzen ist. Lässt man den mit Abstand besten Angreifer also als Maskenmann ran im vorentscheidenden Duell um den Gruppensieg? Oder erspart man ihm lieber das Aufeinandertreffen mit Abwehrkanten wie Virgil van Dijk?

Fragen, die auch die Niederländer interessiert verfolgen, sie wissen aus eigener Anschauung, wie gefährlich Mbappé ist: In der EM-Qualifikation kreuzten sich die Wege bereits, beide Spiele gewann Frankreich, einmal 2:1, einmal 4:0. Vier der sechs Tore schoss Mbappé. „Er ist ein sehr wichtiger Spieler für uns, der Kapitän, ein Anführer dieser Mannschaft, das wird natürlich von Bedeutung sein“, meinte Teamkollege Adrien Rabiot. Aber man habe zumindest „weitgehend die Mittel“, den Unverzichtbaren doch zu ersetzen.

Mit Olivier Giroud ändert sich die Statik von Frankreichs Spiel

Dann fiele die Wahl im Sturmzentrum des Vize-Weltmeisters wohl auf Olivier Giroud (37), immerhin Rekordtorschütze der französischen Auswahl. Giroud ist 1,93 Meter groß und 93 Kilo schwer, ein echter Brecher im Sturm also – und damit ein ganz anderer Spielertyp als der pfeilschnelle und dribbelstarke Mbappé. Der kann sich seine Chancen im Zweifel selbst kreieren, Giroud dagegen muss gefüttert werden mit Pässen und Flanken. Es würde sich also nicht nur ein Name auf dem Spielberichtsbogen, sondern auch die Statik des französischen Spiels erheblich ändern. Will Deschamps das in Kauf nehmen oder bringt er lieber einen weiteren schnellen Dribbler wie Kingsley Coman?

Wout Weghorst traf gegen Polen – dürfte gegen Frankreich aber dennoch auf der Bank sitzen.
Wout Weghorst traf gegen Polen – dürfte gegen Frankreich aber dennoch auf der Bank sitzen. © Getty Images | Julian Finney

Interessanterweise eine Frage, die sich so ähnlich auch sein niederländischer Kollege Ronald Koeman stellen muss. Auch der hatte beim 2:1-Auftaktsieg gegen Polen vor allem auf feine Füße und wenige, schnelle Spieler im Angriff gesetzt. Im Zentrum spielte der sehr aktive Memphis Depay, der auch zu vielen Abschlüssen kam, dabei aber eine beachtliche Streuung aufwies und den hinteren Reihen im Hamburger Volksparkstadion näherkam als dem Tor. Weil so viele Chancen ungenutzt blieben, kam irgendwann Wout Weghorst, weder besonders wenig noch mit besonders feinem Füßchen ausgestattet, aber ein klassischer Zielspieler, mit 1,97 Metern Körpergröße und 90 Kilo Gewicht ähnlich dimensioniert wie Giroud. Und gleich mit dem ersten Ballkontakt beförderte der die Kugel wuchtig und schnörkellos ins Tor.

Brauchen die Niederlande die Dampframme Weghorst oder die feinen Füße?

Sogleich gingen in den Niederlanden die Debatten los, ob man einen wie Weghorst nicht permanent braucht im Sturmzentrum. Im Land des Voetbal Total, in dem jeder Spieler alles spielen können und ständig in Bewegung sein muss, sind eindimensionale Spieler wie Weghorst eigentlich verpönt. Andererseits hilft es schon, wenn da einer ist, der humorlos das verwertet, was die anderen künstlerisch erarbeiten.

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Koeman allerdings hat sich festgelegt: In seinen Augen ist Weghorst kein Startelfspieler, sondern der ideale Joker, und diese Rolle zementierte Weghorst mit seinem schnellen Tor – er hätte sie aber ebenso zementiert, hätte er nicht getroffen. Zur Wahrheit gehört ja auch, dass nicht nur die Dampframme Weghorst, sondern auch die weiteren Einwechselspieler Donyell Malen und Jeremie Frimpong dem niederländischen Spiel sichtlich guttaten. Und die fallen eindeutig in die Kategorie Feinfuß. Koeman also hat gute Argumente auf seiner Seite, vor allem aber hat er vorne die freie Wahl. Ob es seinem Kollegen Deschamps auch so geht, werden die Stunden bis zum Spiel noch zeigen.